»Gute Leute sind überall gut«
Hacks und Brecht

Zweite wissenschaftliche Tagung zu Werk und Leben von Peter Hacks

»Die Verhältnisse, die nicht so waren, zwangen einen geborenen Klassiker aufs Katheder des Aufklärers«1, schrieb Hacks 1959 und meinte damit Brecht. Dieses überaus große Lob verkehrte sich, so scheint es, im Laufe von gut zwanzig Jahren in sein glattes Gegenteil. In »Das Lächeln der Vampire« (1982) ist zu lesen, Brecht sei »der geborene Romantiker« gewesen. 2 Handelt es sich bei Brecht um den seltenen Fall von einem, der im Hacksschen Referenzuniversum zu beidem – zum Klassiker und zum Romantiker – geboren war? Unbestritten steht Brecht zunächst als positiver Bezugspunkt und dann zunehmend als Negativfolie an den Anfängen von Hacks’ Schaffen als Dramatiker. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Brecht und Hacks ist also nicht zuletzt eine mit dem ästhetischen Herkommen des Letztgenannten. Hierzu lud die Peter-Hacks-Gesellschaft am 7. November 2009 ins Magnus- Haus nach Berlin ein und trug dem spannungsreichen Verhältnis, das sich in der Polarisierung der angeführten Zitate zeigt, durch den Veranstaltungstitel Rechnung: »Gute Leute sind überall gut«, so lautete Brechts uneindeutige Antwort auf die Frage des jungen Hacks, ob er aus München in die DDR übersiedeln solle.
»Hacks und Brecht«, hieß es in der Einladung weiter; das verbindende Und umfasst in seiner Unbestimmtheit die vielfältigen Perspektiven, unter denen eine solche Beziehung untersucht werden kann. So kann man etwa nach der Bedeutung fragen, die Brecht für Hacks biografisch hatte – als erste berufliche Anlaufstelle in der DDR, aber auch als die wahrscheinlich prominenteste und dabei in der jungen DDR stets zwiespältige Figur der deutschen Dramatik jener Zeit. Eine zweite Frage könnte auf das Verhältnis von Brecht und Hacks vor dem Hintergrund der ein wenig aus der Mode gekommenen Einflussforschung abzielen: Welche Rolle spielte die Ästhetik Brechts insbesondere für die frühenStücke von Hacks? Und welche Bedeutung hatte sie von dem Zeitpunkt an, als dieser sich der Klassik zuwandte? Oder, allgemeiner formuliert: Wie ist der Einfluss Brechts auf Hacks’ künstlerische Entwicklung zu beurteilen, und wie verändert sich dessen eigene Einschätzung bezüglich dieser Frage? Eine dritte mögliche Perspektive wäre eine allgemeiner komparatistische, die die unterschiedlichen Dramenkonzeptionen, Wahl und Einsatz ästhetischer Mittel und die jeweils zentralen Fragestellungen beider Autoren zueinander in Beziehung setzt, historisch kontextualisiert und mit einem angemessenen Begriffsinstrumentarium nachvollziehbar macht.
Am 7. November spielten all diese Ansätze eine Rolle – in jeweils unterschiedlicher Gewichtung: Die Konvergenz von Ästhetischem und Biografischem in Hacks’ Verhältnis zu Brecht wurde insbesondere in den Vorträgen von Heidi Urbahn de Jauregui und Hans-Jochen Irmer thematisiert; eher komparatistisch angelegte Untersuchungen präsentierten Dieter Kraft, Leonore Krenzlin und Jochanan Trilse-Finkelstein. Den Vorträgen folgten jeweils umsichtig moderierte Diskussionen (die Vormittagssitzung leitete Volker Riedel, durch den Nachmittag führte Jens Mehrle), die dank eines aufmerksamen und informierten Publikums den Rahmen des Behandelten zusätzlich erweiterten.

Einführend deckte Prof. Heidi Urbahn de Jauregui die vielfältigen, sowohl positiven als auch negativen Bezugnahmen sowie die biografischen und ästhetischen Berührungspunkte zwischen Brecht und Hacks auf. In ihrem Vortrag über die »nicht immer leichte Vereinbarkeit von Glauben und Kunst bei Brecht und Hacks« griff sie Brechts Aussage auf, dass gute Leute überall gut seien, und kontrastierte sie mit den Gründen, die die beiden Dichter jeweils bewogen hatten, in die DDR überzusiedeln. Für beide hing das sowohl mit politischen Überzeugungen zusammen (die Urbahn de Jauregui in ihrem Vortragstitel mit »Glauben« umschrieb), als auch mit den erhofften positiven Bedingungen der jeweils eigenen Kunstproduktion; insbesondere für Hacks habe es in der Nachkriegs-BRD keine Impulse mehr gegeben, für ihn sei der Kapitalismus ästhetisch erledigt gewesen. Zudem wies die Vortragende mit Hinweis auf die Formalismusdebatte und die Entstalinisierung darauf hin, dass die DDR 1955 bereits nicht mehr dieselbe gewesen sei wie noch 1949, als Brecht sich dort niederließ.
Vor dem Hintergrund des skizzierten Verhältnisses, das Brecht und Hacks jeweils zu ihrer Wahlheimat DDR einnahmen, warf Urbahn de Jauregui anschließend einen vergleichenden Blick auf die Dramenästhetiken. Brechts Ästhetik sei im Grunde eine Ästhetik gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihren Impuls aus der Opposition gegen den Kapitalismus gewinne und um eine didaktische Wirkung auf das Publikum bemüht sei. In der DDR habe Brecht nach einer revolutionären Kunst unter neuen Bedingungen gesucht – und sei dabei in Widerspruch zur kulturpolitischen Linie der SED geraten. Hacks hingegen habe sich nicht kritisch am Bestehenden abgearbeitet, sein Ziel sei Verfeinerung, nicht Opposition gewesen. Für die Ausarbeitung einer an der Klassik orientierten postrevolutionären Ästhetik sei Ulbrichts Politik des innersozialistischen Ausgleichs bei gleichzeitiger Abgrenzung gegen den Westen günstig gewesen – Urbahn de Jauregui wies in diesem Zusammenhang auf die triadische Struktur im Personal zahlreicher Dramen hin, in der zwei (schlechte) Gegensätze einen darüberstehenden »mittleren Helden« flankieren.
Im letzten Teil des Vortrags wurde Hacks’ weitere Entwicklung nachgezeichnet. Nach der für Hacks besonders produktiven Ära Ulbricht sei seine Zeit mit der Machtübernahme Honeckers im Grunde zu Ende gegangen. Nach seiner politischen »Entlarvung« im Kontext der Biermann-Affäre habe er sich geduldig der Akademiearbeit gewidmet und gleichzeitig den Verfall der Staatsidee beobachtet. »Jona« interpretierte Urbahn de Jauregui bereits als »Schwanengesang« auf die DDR.
Mit der politischen Wende von 1989/90 seien dem Dichter Staat, Regierung und Publikum verlustig gegangen – und damit auch die Vereinbarkeit von politischem Einsatz und ästhetischem Anspruch. In den Dramen würden sich von diesem Zeitpunkt an signifikante Änderungen beobachten lassen, nämlich der Einsatz deftiger Elemente und gröberer Mittel wie das Über-die-Rampe- Spielen. Abschließend stellte die Vortragende die Frage, ob Hacks damit am Ende vielleicht doch wieder zu Brecht zurückgefunden habe, beantwortete sie aber zurückhaltend: Tatsächlich könne in den späten Stücken eine Annäherung an die Parabel beobachtet werden, die Hacks an Brecht stets kritisiert habe. Von der Untersuchung des großen Staatsgedankens habe Hacks aber bis zum Schluss nicht abgelassen.

Dr. Dieter Kraft verglich nachfolgend die unterschiedlichen Hegel-Lektüren beider Dichter. Unter der Überschrift »Der entkettete Knecht« entfaltete er in einem virtuosen Vortrag »philosophische Perspektiven auf Brecht und Hacks und Hegel«. Eingangs lieferte Kraft eine konzise Einführung in die Hegelsche Philosophie, die einen Nachvollzug der Geschichte des Denkens bzw. dessen Entwicklung in Widersprüchen liefere. In schneller Folge klärte er zentrale Hegelsche Begriffe, um dann auf einen der zentralen Problemkomplexe der marxistischen Hegelrezeption hinzuleiten: dem Verhältnis von Idealismus und Materialismus.
Hiervon ausgehend widmete sich Kraft den Bezugnahmen, die bei Brecht und Hacks auf Hegel zu finden sind. Brecht lese Hegel mit Marx, rezipiere also dessen Philosophie im Sinne der materialistischen Dialektik. Sein Ansatz sei operativ: Die aus der Hegelschen Philosophie gewonnenen Begriffe betrachte er als Instrumente zum Eingriff in die Welt. Dies sei keineswegs falsch, erläuterte Kraft, entbinde das Denken Hegels allerdings aus der übergreifenden Perspektive der Einordnung in die Geschichte. Hacks wiederum rezipiere Hegels Philosophie gerade von der anderen Richtung her: als System, das die Wahrheit der begrifflichen Erfassung der Welt gewährleiste. Dies sei auch der Anknüpfungspunkt für seine Ästhetik, insofern es Hacks darum ehe, verbindliche Maßstäbe zu setzen, die sich am Weltgeschehen bewähren müssten und die im Geschichtsverlauf verortet seien (zurück zu den Griechen, vor zum Kommunismus). Dies bedeute freilich nicht, dass für Hacks die Kunst nicht in die Wirklichkeit eingreife; bloß tue sie dies nicht durch Aktionen, sondern durch das Setzen von Ansprüchen, die an die neue Gesellschaft herangetragen würden (als Beispiel nannte Kraft die in »Omphale« verarbeitete Geschlechterutopie).
Abschießend konkretisierte der Vortragende seine theoretischen Überlegungen mit einer pointierten Betrachtung von Brechts »Herr Puntila und sein Knecht Matti« und Hacks’ »Der Müller von Sanssouci« hinsichtlich der Verarbeitung der Herr-Knecht-Dialektik und fasste die Ergebnisse seiner Untersuchung bündig zusammen: Brechts Ästhetik ziele darauf ab, alte Verhältnisse aufzubrechen und bediene sich zu diesem Zweck der dialektischen Methode Hegels. Hacks wiederum beziehe sich auf den welt- und epochenüberspannenden Systemgedanken, um auf Basis des Gewesenen neue Verhältnisse zu begründen. Kraft bewertete diese unterschiedlichen Lektüren positiv – auf diese Weise seien beide in der Rezeptionsgeschichte herauspräparierten »Seiten« Hegels erhalten.

Der dritte Vortrag von Dr. Peter Geist fiel aus dem inhaltlichen Rahmen der Tagung insofern heraus, als er sich nicht mit Brecht, sondern allein mit Hacks befasste, namentlich mit dessen poetischem Werk. Unter der Überschrift »Ich bins zufrieden / Und also nicht zum Lyriker bestimmt« untersuchte Geist ausgewählte Gedichte Hacks’ in Hinblick auf Metrik und Strophenform sowie bevorzugt eingesetzter Verfahren auf semantischer Ebene, um auf diesem Weg ihre Spezifik und ihr innovatives Moment herauszuarbeiten.
Dabei stellte er zunächst fest, dass die Lyrik eine bemerkenswerte Vielzahl metrischer Formen aufweise (einzig der vers libre sei so gut wie nie zu finden). Dies weise Hacks als den wahrscheinlich einzigen Lyriker seiner Zeit aus, der alte Formen konsequent auf ihre Brauchbarkeit für die Gegenwart untersucht und zur Anwendung gebracht habe.
Anhand des Sonetts »Alte Charité« demonstrierte Geist die Funktionsweise semantischer Verdichtungen wie etwa den gezielten Einsatz anachronistischer Begriffe, die den Zeitbezug des Gedichts ins Historische (und historisch Relevante) verlängerten. Darüber hinaus seien Hacks’ lyrische Texte häufig um Gegensatzkonstellationen gebaut, wie etwa der von begehrendem Ich und einer im Verfall begriffenen Welt; in diesem Zusammenhang wies Geist insbesondere auf den spezifischen Gebrauch kosmologischer Motive hin.
Im Wechselspiel von präzisen Beobachtungen anhand einzelner Gedichte und der ausgreifenderen Beschreibung markanter Linien im poetischen Werk insgesamt lenkte Geist schließlich auf thematische Aspekte hin, insbesondere auf die philosophisch-ästhetischen Reflexionen und politischen Positionierungen in den (späten) Gesellschaftsgedichten, und endete mit einem kritischen Kommentar zur Hacks-Rezeption des Jubiläumsjahres 2008. Dies ermöglichte es, in der anschließenden Diskussion doch noch eine Brücke zu Brecht zu schlagen, der, wie erwähnt wurde, immer wieder auf ähnliche Weise rezipiert worden sei wie jüngst auch Hacks: abgetrennt vom politisch Unliebsamen.

Den Nachmittag eröffnete Prof. Hans-Jochen Irmer, indem er der Frage nachspürte, wie sich Hacks’ Einschätzung der Bedeutung Brechts im Allgemeinen bzw. für das eigene dramatische Schaffen im Besonderen im Laufe der Jahre veränderte. In seinen »Anmerkungen zu dem literaturgeschichtlichen Und« ging er vom Tagungstitel (»Hacks und Brecht«) aus, um zunächst Hacks’ in »Das Arboretum« formulierte Kritik am »philologischen Und« aufzugreifen.3 Dann legte er sein Verständnis des Verhältnisses von »Hacks und Brecht« als eines der Annäherung, Entfernung und Rückbesinnung auseinander, indem er Hacks’ Werdegang als Dramatiker und die Entwicklung seiner Ästhetik in Hinblick auf die Beziehung zu Brecht untersuchte. Die ablehnende Haltung Brechts auf Hacks’ Frage, ob er in die DDR gehen solle, setzte Irmer zu ideologischen Schwierigkeiten in Beziehung, in die Brecht zu diesem Zeitpunkt schon geraten war, und den schlechten Erfahrungen mit früheren Schülern. Hacks habe sich von Anfang an an Brecht gemessen, und zwar nicht zuletzt mit dem Ziel, ihn zu verbessern (in diesem Zusammenhang nannte Irmer den 1956 publizierten Aufsatz »Einige Gemeinplätze über das Stückeschreiben«). In seiner Konstruktion einer sozialistischen Goethezeit habe Hacks Brecht als Lessing und sich selbst als eine Personalunion von Hegel und Goethe gesehen (alle übrigen Rollen seien Heiner Müller zugefallen); den Übergang vom Sturm und Drang zur Klassik markierten laut Irmer die zweite und dritte Fassung von »Die Sorgen und die Macht«, »Moritz Tassow« sowie der Essay »Versuch über das Theaterstück von morgen« (1960). Zu dieser Zeit habe Hacks Brecht noch als einen Klassiker verehrt. Der Bruch sei mit dem Beginn des Kampfes gegen die Romantiker erfolgt. Während Hacks zunächst noch voll des Lobes für Brecht gewesen sei, habe sich das Verhältnis zunehmend in eines von Ablehnung und Distanzierung gewandelt. Irmer bezog sich in seinen weiteren Ausführungen verstärkt auf ein 1974 von Gerda Baumbach, Gottfried Fischborn und Rolf Rohmer geführtes Interview mit Hacks.4 Aus dem prononcierten Abgrenzungsgestus, der darin in Bezug auf Brecht zu finden ist (»Brecht war für mich eine Krankheit«; »Brecht ist nach wie vor ein sehr brauchbarer Autor für unterentwickelte Länder«5), leitete Irmer seine zentrale These ab: Hacks habe Brecht nie überwunden, sondern sei ihm in negativer Abhängigkeit verbunden geblieben. Die Vehemenz, mit der Hacks sich in den Siebzigern abgegrenzt habe, sei primär in Hinblick auf die Kämpfe gegen die Romantiker in der Literaturlandschaft der DDR zu erklären.
Anschließend griff Irmer Hacks’ ebenfalls in genanntem Interview getätigte Aussage auf, dass Brecht »eine Manier und keinen Stil«6 gehabt habe, um Hacks seinerseits »Manier« nachzuweisen. Hacks’ Sprachakrobatik und Sophismen, seine Selbststilisierung zum Klassiker und Genie sowie das Streben nach Historiographie durch Verbreitung von Anekdoten waren einige Momente, die Irmer als Belege für seine Diagnose anführte.
Irmer schloss seinen Vortrag mit der Andeutung, dass in den Stücken des späten Hacks eine freundliche Rückbesinnung auf Brecht zu beobachten sei, ohne diese These allerdings näher auszuführen. In der seinem Vortrag folgenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der Klassik- Romantik-Polarisierung um eine quer durch das Ensemble der DDR-Autoren verlaufende ästhetische und politische Haltungsfrage handle oder ob man vielmehr davon ausgehen müsse, dass sie von Hacks »inszeniert« worden sei, wie Irmer nahelegte. In diesem Zusammenhang fanden auch die zeitnahen Inszenierungen von Müllers »Zement« und Hacks’ »Omphale« am Berliner Ensemble, an dem Irmer zu dieser Zeit arbeitete, Erwähnung.

In ihrem Vortrag mit dem Titel »Gönnt euch die Freude und tut was« präsentierte Dr. Leonore Krenzlin anschließend eine Analyse des »Moritz Tassow« vor dem Hintergrund der von Brecht und Hacks je unterschiedlich bewerteten und durchgeführten Beschäftigung mit Gegenwartsstoffen. So skizzierte sie eingangs eine komparatistische Fragestellung, die von dem paradoxen Umstand ausging, dass Hacks mehrere Gegenwartsstücke schrieb, Brecht in der DDR hingegen kein einziges, und dies, obwohl er – im Unterschied zu Hacks – davon überzeugt gewesen sei, dass Gegenwartsstoffe produktiv seien und die DDR davon reichlich zur Verfügung stelle. Krenzlin wies sodann darauf hin, dass Brecht tatsächlich angefangen habe, an einem Stoff des aktuellen Zeitgeschehens zu arbeiten, nämlich an der Geschichte des Maurers Hans Garbe, der 1950 in Rekordzeit einen Ringofen reparierte und so einen Produktionsausfall im Berliner Großbetrieb Siemens-Plania verhinderte.7 Die Vorarbeiten, die Brecht zu diesem nie verfassten Stück machte, sind in der Brecht-Forschung als »Büsching«-Fragment bekannt.8 Hacks sei im Gegensatz zu Brecht durchaus kein Freund von Gegenwartsstücken gewesen – er habe vielmehr stets die damit verbundenen Schwierigkeiten betont. Aus methodischen und Aus methodischen und Platzgründen konzentrierte sich Krenzlin in ihrem Vortrag dann ganz auf Hacks’ »Moritz Tassow«; der Bezug zu Brecht blieb ihren Überlegungen als Fragehorizont aber eingeschrieben.
Krenzlin umriss zunächst knapp den im »Tassow« verarbeiteten gesellschaftlichen Konflikt, um sich dann ausführlich mit den künstlerischen Mitteln auseinanderzusetzen, die im Drama zur Bewältigung des Gegenwartsstoffes eingesetzt werden. Hinsichtlich der philosophischen Fragestellung habe sich die Sekundärliteratur bislang stark auf die Kollision von Utopie und Wirklichkeit konzentriert, die in den Figuren Tassow und Mattukat in Szene gesetzt würden. Demgegenüber sei die Stilisierung von Sprache und Habitus der Figuren vernachlässigt worden. Dasselbe gelte für das Personal, das Hacks auf dem Gut Gargentin versammelt; dieses würde im Vergleich mit den Hauptkontrahenten vielfach als Statisterie angesehen, es handle sich jedoch, wie Krenzlin an einzelnen Beispielen ausführte, um sorgfältig ausdifferenzierte Figuren im Rahmen der dörflichen Gemeinschaft bzw. der staatlichen Ordnungsmacht. Bei diesen löse die Tassow-Figur Wirkungen aus, insbesondere die Fähigkeit zur Utopie.
Tassow selbst sei drittens eine schillernde, stark ins Irreale überhöhte Figur und als solche eine seltene Erscheinung im Drama der sechziger Jahre. In ihm sei das Streben nach der Vollendung aller menschlichen Lebenskräfte im Sinne einer Utopie freier menschlicher Betätigung verkörpert. In seiner zwitterhaften Anlage – utopisches Symbol und reale Bühnenfigur zu sein – bestehe die eigentliche ästhetische Leistung, die Hacks mit dem »Moritz Tassow« vollbracht habe. Möglicherweise, so deutete Krenzlin an, sei es gerade dieses Mittel gewesen, das Brecht für sein Garbe-Stück gefehlt habe. Zum Schluss untersuchte Krenzlin die Funktion der Lieder in Hacks’ Stück, die – anders als gewöhnlich bei Brecht – als Passagen eingesetzt würden, in denen sich utopische Wünsche artikulierten.

Abschließend führte Prof. Jochanan Trilse-Finkelstein mit seinem Vortrag »Antike – biblisch-griechisch-römisch – bei Brecht und Hacks« in deren unterschiedlichen Umgang mit antiken Stoffen und Mythen ein. Es handelte sich hierbei um eine außerordentlich breit angelegte Untersuchung, die im Lauf des Vortrags spontan gekürzt werden musste. Eingangs charakterisierte Trilse-Finkelstein kurz die Antikerezeption Brechts und grenzte sie gegen die von Hacks ab: Anders als dieser habe Brecht das römische Altertum dem griechischen vorgezogen, sein Interesse sei eher auf historische Stoffe, denn auf Mythen gerichtet gewesen. Auch habe Brecht die aufgefundenen Stoffe stets einer kritischen, korrigierenden Bearbeitung unterzogen, in der die historischen Zusammenhänge auf ihre gesellschaftliche Funktion befragt wurden. Die Stoßrichtung der Bearbeitungen sei demgemäß eine der Entlarvung. Hacks hingegen habe antike Stoffe und Mythen als solche als geeignet zur Bewältigung der Gegenwart erachtet. Darüber hinaus entspreche der Ästhetik einer sozialistischen Klassik ein positiver, produktiver Bezug auf das Erbe der Antike. In seinen Stücken werfe Hacks einen tiefen, lehrreichen Blick in die Geschichte.
In einem umfassenden Streifzug durch Hacks’ Werk warf Trilse-Finkelstein nun erhellende Schlaglichter auf einzelne Dramen; speziell »Numa« und in bescheidenerem Umfang auch »Senecas Tod« fanden ausführlichere Beachtung. Nach einem Hinweis auf die verwickelte Publikationsgeschichte von »Numa« behandelte Trilse-Finkelstein in rascher Abfolge die Unterschiede der verschiedenen Fassungen, erwähnte den historischen Gehalt des Stoffes sowie Implikationen der Handlung (Auseinandersetzung mit Fragen der Staatsvernunft durch die Figur des »mittleren Helden«, satirische und komödienhafte Elemente) und wies auf shakespearisierende sowie Schiller-Komponenten hin. »Seneca« fasste Trilse-Finkelstein aufgrund der Suizid-Thematik als Grenzfall des Dramatischen auf. Dabei perspektivierte Trilse-Finkelstein seine Ausführungen stets hinsichtlich der Aufführungsgeschichte bzw. einzelner Inszenierungen der behandelten Stücke, was seinem Vortrag ein erfreuliche Lebendigkeit verlieh. Eine stärkere Konzentration auf einzelne Stücke oder Themen wäre allerdings wünschenswert gewesen.
Die zweite Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft eröffnete Einblicke in zahlreiche Themenkomplexe, die mit den Namen Brecht und Hacks verbunden werden können. Hinsichtlich der groben Linien dieses Verhältnisses bestand wenig Dissens, so beispielsweise in Bezug auf Hacks’ anfängliche Orientierung an und seine spätere Abgrenzung von Brecht. Die Frage, ob bestimmte dramaturgische Mittel, die in den Nach-Wende-Dramen eingesetzt werden, tatsächlich im Sinne einer Rückbesinnung auf Brecht interpretiert werden können, blieb allerdings im Vagen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass von Hacks hierzu meines Wissens nur spärliche Selbstaussagen vorliegen. Insgesamt war zu beobachten, dass einige der Vorträge doch recht eng an die von Hacks selbst unterbreiteten Deutungsangebote seines Verhältnisses zu Brecht angeknüpft blieben. Um sich auch mit Fragen zu befassen, deren Beantwortung nicht in den essayistischen Texten oder den Briefen des
Dichters bereits vorformuliert ist, müsste eine distanziertere, stärker an der Werkästhetik orientierte Forschung befördert werden, deren Ergebnisse Hacks’ eigene Reflexionen bereichern und kontrastierend ergänzen könnten. Denn dass widersprüchliche Aussagen – wie etwa die vom »Klassiker« und vom »Romantiker« Brecht – ihren Sinn aus den Zusammenhängen beziehen, in denen sie stehen, war nicht zuletzt für Hacks ganz selbstverständlich: »Ich jedenfalls benutze natürlich Worte so, daß sie aus dem Kontext sich erhellen müssen, und es ist mir egal … Ich meine ganz oft mit dem gleichen Wort was anderes.«9

1 Peter Hacks: Literatur im Zeitalter der Wissenschaften. In: Ders.: Werke, Bd. 13. Berlin 2003, S. 12–19, hier S. 17. (Zitate und Verweise im Folgenden abgekürzt als HW, mit arabischer Band und Seitenzahl.)
2 Ders.: Das Lächeln der Vampire. In: HW 15/212–225, hier S. 224.
3 »Das philologische Und, was ist das?/ Es ist das Und, welches sich in Aufzählungen findet wie: Heine und Weerth, Marlitt und Courths-Mahler, Brecht und Wolf …/ Ich habe das allerdings bemerkt. Und ich habe nie begriffen, welche innere Verbindung der genannten Namen ihre grammatikalische Koppelung rechtfertigt.« Peter Hacks: Das Arboretum. In: HW 13/183–205, hier S. 197.
4 Interview vollständig veröffentlicht in: Gottfried Fischborn, Peter Hacks: Fröhliche Resignation. Interview, Briefe, Aufsätze, Texte. Berlin 2007, S. 15–100.
5 E benda, S. 56.
6 E benda, S. 57. Hacks

Tagungsbericht von Bernadette Grubner

Das Tagungsprogramm der Konferenz 2009 finden Sie hier noch einmal im Überblick.

Die Konferenzbeiträge sind beim Aurora-Verlag im Band »Gute Leute sind überall gut« erschienen.