Die Julklapp-Organisation

Die Golden Sixties der DDR, in denen die Wirtschaft gedieh, die Kultur blühte und die Parties rauschten, sind in Hacks' Erinnerung verkörpert in Gestalt des Julklappkränzchens. Die hauptsächlichen Cadres des Kränzchens waren vier Ehepaare, Hacks und Wiede, Manfred Krug und seine Frau Ottilie, Guy de Chambure und die Schauspielerin Christine Gloger vom Berliner Ensemble und die Nichtdrehbuchautoren Heinz Kahlau und Gisela Steineckert; die letztern lebten von Drehbüchern, welche die Defa regelmäßig ankaufte, aber niemals verfilmte.

Weiterlesen ...

Ist denn die Kunst wirklich nur dazu da, die verdammten albernen, vorübergehenden Peinlichkeiten einer Zeit vorzuführen oder ist sie nicht vielleicht dazu da, ausgehend von dem Material, das die Zeit anbietet, Lösungen zu finden und die Möglichkeiten einer Zeit zu untersuchen im Hinblick auf die Möglichkeiten, die die Menschheit als solche hat?
Peter Hacks

Goetter»Klassiker sind Menschen, die vom Glück der Geburt und der geschichtlichen Lage gesegnet, mehr zu Wege brachten als die Menschen neben ihnen. Sie hatten es durch ihre Vorgezogenheit nicht leichter als wir, sicher schwerer. Aber wir rühmen sie nicht um ihrer Tugend willen, sondern um ihres Glücks. Sie nahmen in hohem Grade vorweg, was der Mensch sein kann. Sie haben die Götter arbeitslos gemacht. Sie sind heilig: in ihnen ehren wir den Menschen. Die Genies sind der Beweis der Hoffnung.«
Peter Hacks, Über das Revidieren von Klassikern

Im vergangenen November fand die sechste Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft zum Thema »… die Götter arbeitslos gemacht. Peter Hacks und die Klassik« statt. Nun sind – ergänzt durch weitere Beiträge – die Referate des Symposiums im Aurora Verlag erschienen.

Mit Beiträgen von Robin Baller, Felix Bartels, Jan Decker, Tabea Dörfelt-Mathey, Heinz Hamm, Detlef Kannapin, Kai Köhler, Martin Küpper, Bernd Leistner, Johannes Oehme und Jette Schwarz.

Klassik ist für die Ästhetik Peter Hacks’ ein zentraler Begriff, der mehrere Bedeutungsschichten aufweist. Diese Ebenen zu klären unternahm die sechste wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft, deren Resultate der Band versammelt und die Kai Köhler im Vorwort etwa folgendermaßen referiert:

Der Begriff bildet sich bei Hacks in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Vorgängen aus den Abgrenzungen zur Aufklärung und zu Brecht, später zur Romantik, die er verstand als eine Haltung entschlossener Subjektivität, die nicht daran interessiert ist, die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse zu erfassen, oder dies sogar für unmöglich hält; eine Vermischung von Genres und Medien sowie eine Gleichgültigkeit gegenüber dem in sich abgeschlossenen Werk, für die das Regietheater nur als eine, wenngleich besonders auffällige Erscheinung steht.

Klassik ist bei Hacks gekennzeichnet durch Vorwegnahme: Insofern die Kunst »von morgen von heute« (HW 13/32) gemacht werden soll, wird der Einsatz poetischer Mittel möglich, die, gegenwärtige Konflikte gestaltend, eine reichere Zukunft vorwegnehmen; durch formale Perfektion, Prunk auf der Bühne, sprachlichen Glanz sowie Dramenfiguren, die bewusst und souverän handeln; durch die Wiedergabe gesellschaftlicher Totalität; durch Realismus, der eine historische Dimension hat. Bis in die siebziger Jahre hinein bleibt der Begriff optimistisch geprägt, ohne dass in den Dramen die individuellen Verluste im historischen Prozess geleugnet würden.
Gründe dafür sind, dass die Transformation zum Sozialismus abgeschlossen ist, also nicht nur die politische Macht, sondern auch der ökonomische Bereich sozialistisch geworden und der Verwaltung äußerster Not enthoben ist.

Klassisch ist ihm mithin ein Teil der deutschen Literaturgeschichte, insbesondere Goethe. Klassisch ist zweitens eine Anzahl künstlerischer Mittel. Von ihnen wird besonders eines, die Aufmerksamkeit für die Gesetze der literarischen Gattungen, für Hacks wichtig. Klassik wird drittens zu einem übergreifenden Stilbegriff, so dass Hacks im Oktober 1976 an der Akademie der Künste der DDR eine Diskussion zu »Klassik und Romantik in der DDR« leiten kann. Und viertens bezeichnet Klassik angesichts des Zerfalls der DDR und dann in der Konfrontation mit den Folgen der von Hacks abgelehnten deutschen Vereinigung eine Haltung; so wird ihm der Goethe zum Vorbild, der nach 1806, gegen romantischen Nationalismus, die Fortschritte wahrnimmt, die die napoleonische Herrschaft bringt, und der nach 1815 die Territorialabsolutismen den demokratischen Nationalisten vorzieht.

Die Referate der Tagung – in diesem Band in leicht veränderter Reihenfolge aufgenommen und um einen Beitrag ergänzt – zeichneten dieses Spektrum vor allem auf einer literaturgeschichtlichen und theoretischen Ebene nach.
Heinz Hamm skizziert Hacks’ Konzeption der Klassik in den Akademiegesprächen, wobei er deren doppelte Provokation hervorhebt: in der für die Ästhetik grundlegenden Ordnung der Klassen, die die parteioffiziell führende Rolle der Arbeiterklasse verabschiedet, wie auch gegen die subversive Haltung der Romantik-Freunde in der späten DDR.
Bernd Leistner widmet sich der Schiller-Rezeption bei Hacks und kann zeigen, dass auch dieser zuweilen der Tendenzen zur Romantik verdächtigte Klassiker von der Studienzeit an ein wichtiger Bezugspunkt für Hacks gewesen ist.
Tabea Dörfelt-Mathey weist nach, wie Hacks in viel späteren Auseinandersetzungen den Aufklärer Wieland gegen eine missbräuchliche Vereinnahmung zu schützen versucht, doch dabei an einer Werthierarchie, die die Klassik über die Aufklärung stellt, festhält. Die Adaption von Wielands Lustspiel Pandora, die vor Hacks’ Übersiedlung in die DDR entstand, belegt, wie früh sich Hacks auf eine anti-rousseauistische Verteidigung des zivilisatorischen Fortschritts bezog.
Felix Bartels erörterte mit der Bestimmung literarischer Gattungen einen grundlegenden Bestandteil von Klassik. Der Vergleich mit der Gattungsordnung des ganz anders gruppierenden Gérard Genette zeigt das Besondere von Hacks’ Ansatz, der nicht auf systematische Geschlossenheit, sondern auf Anwendbarkeit zielt.
In Detlef Kannapins Beitrag geht es um einen anderen theoretischen Grundbegriff, den des Realismus. Kannapin führt den Realismusbegriff auf Hegel zurück, der ihn in den Kategorien von Objektivität und Totalität vorgebildet habe. Bei Lukács stehe dann der Realismus im Zentrum seiner Literaturtheorie; beide führt Hacks als Gewährsleute an, wenn er seine klassische Ästhetik vor allem anhand der Dramentheorie entwickelt.
Robin Ballers (auf der Tagung nicht referierte) Untersuchung zu Numa zeigt die Erstfassung des Dramas als Umsetzung von Hacks’ klassischer Dramenästhetik. In der Umarbeitung von 2002 nahm Hacks, ein Jahr vor seinem Tod, einschneidende
Änderungen vor. Es entstand ein klassisches Drama in nachklassischer Zeit.
Jan Decker stellte einen Text vor, an dessen Entstehen Hacks nur mittelbar beteiligt war, und liest die von André Müller aufgezeichneten Gespräche mit Hacks auf der Folie von Johann Peter Eckermanns Gesprächen mit Goethe. Er untersucht nicht den Inhalt der Gespräche, sondern betrachtet sie als Selbstinszenierung der beiden Sprecher als Vertreter einer klassischen Literatur.

Die Tagung hatte, entsprechend den Themenvorschlägen der Referenten, zwei Schwerpunkte, von denen der eine auf Bezugnahmen Hacks’ auf Autoren aus Aufklärung und Klassik lag, der andere auf literaturtheoretischen Fragestellungen. Ein abschließender Tagungsbericht von Küpper/Oehme/Schwarz gibt die einzelnen Positionen und Diskussionen ausführlich wieder.