Peter Hacks in seinen letzten Lebensjahren auf der „Fenne“ (Quelle: PHG/Eulenspiegel Verlag)Was den Menschen Peter Hacks anbetrifft, so scheiden sich hinsichtlich seiner Wirkung auf Zeitgenossen die Geister. »Arrogant, geleckt, blasiert« – so sehen ihn manche, aus durchaus verschiedenen Motiven heraus, und denken oder geben vor, Hacks' Charakter damit treffend und hinreichend beschrieben zu haben. So einfach dürfe man sich die Sache nicht machen, findet hingegen die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Dagmar Just in einem Brief, den sie im vergangenen Jahr geschrieben hat. Wir bringen diesen Brief hier als Meinungsbeitrag.

 


Lieber *,

nochmals vielen Dank für Ihr Kommen und das kurze Feedback. Nach so langem einsamem Monologisieren am Schreibtisch ist jede Rückmeldung eine Freude, egal, ob sie euphorisch ist oder kritisch.

Wenn ich Ihre wenigen ausgesprochenen und vielen unausgesprochenen Worte richtig verstehe, war unser Dresdner Hacks-Abend mit Ausnahme von Florians wunderbaren Anverwandlungen meiner Musikvorschläge ein Ärgernis für Sie. Das tut mir leid, denn so weit kennen Sie mich inzwischen bestimmt, dass Sie wissen, ich gehe mit solchen Sachen nicht wie Willy Loman mit seinen Staubsaugern hausieren, hoffte ich nicht, Sie damit zu erfreuen oder wenigstens anzurühren. Doch mein Eindruck ist, dass Ihnen schon das Konzept - Hacks selbst als schönstes seiner Kunstwerke – missfiel, auch da Sie ihn persönlich kennen und Ihr Urteil über ihn – »arrogant, geleckt, blasiert« – aus eigner Anschauung seiner Auftritte in der Schönhauser Allee und mehr noch auf dem Körnerweg beim Geburtstag Ihrer Frau beziehen. Völlig zurecht, es ginge mir vermutlich ähnlich, da auch ich zur Verachtung der Todsünde Superbia à la »Hochmut kommt vor dem Fall« erzogen wurde. Und zudem ist es ohnehin Konsens, Hacks’ großes dramatisches Talent von seinem unmöglichen Charakter zu trennen. Gemessen daran, konnte Ihnen mein Hacks-Bild an diesem Abend wohl nur realitätsblind, ignorant, falsch, vielleicht gar ideologisch, romantisch, fahrlässig erscheinen. Nur hat sich hier, scheint mir, die Rolle der Arroganz 30 Jahre nach der Wende derart verändert, dass Ihr Freund und mein Doktorvater Frank Hörnigk, der Hacks gewiss nicht mochte, heute lieber freiwillig mit ihm ins gleiche Boot stiege als mit seinen so selbstgewissen.

Vielleicht erinnern Sie sich des infamen Bohrer-Zitats von 1990, wonach »die verlorenen Leben und Karrieren der DDR-Intellektuellen zu nicht mehr ausreichen als zu einer schmerzvollen und notwendigen psychologischen Einzel- und Gruppenanalyse«. Das hat Schule gemacht, Karl Heinz Bohrer und die Seinen haben ihrs dazu beigetragen, und genau diese mit gönnerhaftem Mitleid und unterdrückter Langeweile gemischte Arroganz herrscht heute allgemein. So auch kürzlich bei einer Tellkamp-Lesung im Herzen von Westberlin, als der Autor statt der erwarteten westkompatiblen Antwort à la Durs Grünbein seine von vielen im Raum geteilten Ansichten auf seine produktive Ost-Herkunft zurückführte – und Unverständnis auslöste. Vielleicht erinnern Sie sich auch an einen von Frank Hörnigks letzten Aufsätzen, der sich wie ein stiller Schrei las, falls es das gibt – über den Austausch der Ostintelligenz an den hiesigen Universitäten durch subalterne westdeutsche Doktoren. Ich bin fast sicher, dass die Demütigungen und unsichtbaren Wunden, die ihm damals - genau wie meinem Vater und vielen anderen - zugefügt wurden, einen veritablen Beitrag zu seinem frühen Tod geleistet haben.

Sie, lieber *, hatten da bereits, mit Hörnigks Hilfe, Ihr eignes, relativ unabhängiges Königreich errichtet. Aber für Universitätsangestellte wie Hörnigk oder meinen Vater bestand diese Option nicht. Sie mussten die Kröten der Evaluierung schlucken, und da Arroganz als Waffe ihnen nicht zur Verfügung stand, standen sie der Arroganz ihrer Westkollegen statt auf Augenhöhe gleichsam mit bloßen Händen gegenüber. Peter Hacks war der einzige öffentliche Intellektuelle, der ihnen mit seiner Arroganz Paroli bot und den Kampf gegen sie aufnahm, je länger umso radikaler. Nicht mit dem feinen Stilett, sondern mit dem Rolandsschwert verteidigte er den Stolz, die Erfolge und Niederlagen, die Freude und die Traurigkeit des Lebens – von Hörnigks wie von meinen Eltern und ein wenig auch von mir und meinen Freunden – in der DDR. Vielleicht brauchen Sie dieses Rolandsschwert nicht. Vielleicht würde Frank Hörnigk mir auch widersprechen. Doch das große Publikum unsres Hacks-Abends – immerhin 500 Leute – wirkte wie elektrisiert. Das zeigte, scheint mir, der lange Beifall, und das sprachen die, die sich danach persönlich bedankten und das Manuskript des Abends erbaten, auch klar aus. Deshalb, lieber *, halte ich trotz Ihrer entgegengesetzten Erfahrung unseren Abend nicht für romantisch oder ignorant, sondern für so gelungen wie halt möglich und vor allem für dringend nötig.

Wie gut, dass Ihr Kater Jakob unser Telefongespräch unterbrochen und mich gezwungen hat, all dies aufzuschreiben. Mit Dank für Ihre Geduld grüßt herzlich

Ihre

Dagmar Just

 

Berlin, 3. November 2022