Am 24. Juni dieses Jahres starb Professor Erich Hahn in Berlin. Dieter Kraft mit einer Erinnerung an den marxistischen Philosophen.
Berlin, 18.07.2025
Zum Tod von Erich Hahn
Eine Erinnerung
von Dieter Kraft
Philosophen wie Erich Hahn konnten sich nur in der DDR – will sagen: in einer sozialistischen Gesellschaft – intellegieren. »Vom Tellerwäscher zum Millionär«, das klappte, wenn überhaupt, höchstens in den USA. »Vom Tellerwäscher zum Philosophen«, das war in den Vereinigten Staaten nicht einmal ein Werbegag. In der DDR hingegen war es – mutatis mutandis – der ganz gewöhnliche Weg besonders gescheiter und sehr speziell interessierter Leute.
Zu diesen gehörte auch Erich Hahn, der in einer LPG (für die Westdeutschen: in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft) anfing und als Philosophie-Professor aufhörte. (Für die Westdeutschen: keine Sorge, natürlich wurde er »abgewickelt«, schließlich war er ja seit 1981 außerdem noch Mitglied des ZK der SED – jetzt höre ich auf zu übersetzen.)
Wir kennen es kaum anders: die meisten Philosophen sind eigentlich keine Philosophen, sondern lediglich Philosophie-Historiker. Sie zeichnen nach, was die Philosophen an wirklich neuen Erkenntnissen in die Menschheit eingebracht haben. Auch das ist durchaus lobenswert. Erich Hahn freilich wollte kein Philosophie-Historiker sein. Er wollte das Philosophische in einer sozialistischen Gesellschaft definieren und diese Gesellschaft auch philosophisch interpretieren.
Und genau das war der Kontext, der ihn auf ein zunächst sehr kritisch beäugtes Feld führte: das Feld der Soziologie. Wer über »die Gesellschaft« spricht, der kann es sich erlauben, mit dem Begriff der »Klassengesellschaft« zufrieden zu sein. Da haben wir das Große und Ganze, und irgendwie ist das ja im Großen und Ganzen auch alles stimmig. Hahn aber wollte mit seinem philosophischen Ansatz in die soziologischen Details gehen. Und so wurde er als Heise-Schüler einer der ersten Protagonisten einer »marxistischen Soziologie«. Die hat es irgendwie mit allem zu tun, und das schöne Wort für Philosophie als »Weisheitsliebe« verliert alles Abstrakte und Verallgemeinerbare. Konkretionen müssen her, und erst dann wollen wir philosophisch interpretieren.
Vielleicht war es auch dieser Ansatz, der es ganz unproblematisch machte, Professor Hahn für ein Gespräch gewinnen zu können – vor 1989 ebenso wie danach. Und »danach« konnte man sich darauf verlassen, dass ein Erich Hahn der nämliche blieb wie vor 1989.
Die Peter-Hacks-Gesellschaft hat davon profitiert und ihn zweimal zu Gast haben zu dürfen: als Referent zu Georg Lukácsʼ Werk und Wirken und in einer prominenten Gesprächsrunde zu Hans Heinz Holz – bei der er sich auch nicht genierte, zum Besten zu geben, dass er eigentlich durch Stalins »Kurzen Lehrgang« animiert wurde, Philosophie zu studieren.
Professor Dr. Erich Hahn starb am 24. Juni 2025 im Alter von 95 Jahren.