Tagungsrückblick 2016

»Machen Sie nicht weiter so«
Hacks in Dialog und Kontroverse mit Kollegenmagnushaus

Neunte wissenschaftliche Tagung zu Werk und Leben von Peter Hacks

Am 12. November 2016 fand im Magnus-Haus am Kupfergraben die neunte wissenschaftliche Tagung zu Werk und Leben von Peter Hacks statt.
Ein zahlreiches und beständiges Publikum hörte und diskutierte sechs Referate.

Zuerst beschrieb Ronald Weber "das erhoffte Triumvirat der sozialistischen Klassik", das Peter Hacks nach 1961 in sich und den Dramatikerkollegen Heiner Müller und Hartmut Lange antreten sah. Alle drei Dramatiker wandten sich im Laufe der 1960er Jahre vom Brecht-Epigonentum und vom Gegenwartsdrama ab, das sie als wenig poesiefähig einschätzten. Alle drei suchten, historische und mythologische Stoffe in höchsten Formen, insbesondere versifiziert, zu bewältigen. Und alle drei hatten kulturpolitische Probleme von Ausmaßen, die darauf hinwiesen, dass ihre Dramen die empfindlichsten Nerven der Gegenwart trafen. Mit der Flucht Hartmut Langes aus der DDR und der romantischen Wende Heiner Müllers sei das Triumvirat jedoch zerfallen, noch bevor es zur Höhe seiner selbst gelangt sei.



Leonore Krenzlin schloss mit einer Analyse des Verhältnisses von Peter Hacks und Wolf Biermann an, die sie als "zwei Außenseiter im literarischen Feld der DDR" bezeichnete. Beide hätten, aus Westdeutschland eingewandert, gewisse Privilegien und Westverbindungen genossen und sich daher mehr ästhetische sowie politische Experimente leisten und trauen können. Bis 1965 hätten sie sich auch gut verstanden, und erst ihre unterschiedlichen Reaktionen auf das 11. Kulturplenum hätten sie auseinander- und gegeneinander gebracht. Den Aufsatz "Neues von Biermann" von 1976, in dem Hacks die Ausbürgerung Biermanns unterstützte, habe Hacks als politisch notwendig für die Verteidigung des Sozialismus in der DDR betrachtet. Er habe Biermann jedoch noch 1984 in seinem Balladen-Essay würdigend erwähnt und damit die Bereitschaft zur Änderung seiner ästhetischen Beurteilung Biermanns gezeigt, sei daher keineswegs prinzipiell oder persönlich zänkisch gegen Biermann eingestellt gewesen. Biermann habe sich seit 1976 nicht mehr substantiell zu seinem Verhältnis zu Hacks geäußert.



Gunter Nickel nannte die jüngst erschienene Dissertation von Ronald Weber über das Verhältnis von Hacks und Müller profund und materialreich, kritisierte aber eine zu unbesehene Übernahme kultursoziologischer Untersuchungsmethoden Pierre Bourdieus, mit denen insbesondere Hacks' Poetik und marxistisches Selbstverständnis nicht gründlich genug zu fassen sei. An Heiner Müllers "Macbeth"-Bearbeitung habe Hacks gerade das kritisiert, was Bourdieus Kultursoziologie zu abstrakt hervorhebe. Müllers "Macbeth" stelle auf eine allgemeine Macht-Schelte ab, die alle widerspruchsträchtigen Elemente aus der Shakespeareschen Vorlage getilgt habe. Schließlich wies Nickel darauf hin, dass der späte Goethe den Gegensatz der Klassik zur Romantik entschärft habe und selber zum Nachklassiker geworden sei. Eine ähnliche Entwicklung sei auch bei Hacks zu beobachtenAuch Hacks' spätes Werk weise auf eine solche nachklassische Schaffensphase hin, woraus entsprechende Schlussfolgerungen für die Romantik-Debatte in und nach der DDR zu ziehen seien.



Bernd Leistner untersuchte "Hacksens Verwandtschaft in der literarischen DDR" anhand seines Verhältnisses insbesondere zu Rainer Kirsch und Karl Mickel. Hacks habe sich nie abgesondert, sondern stets die poetologische Debatte gesucht und zum Beispiel in seiner Arbeitsgruppe an der Akademie der Künste auch aktiv organisiert. Mit Mickel und Kirsch teilte Hacks die Wertschätzung des formgebundenen, Leistner Tagung14selbstdisziplinierten, ja "zuchtvollen" Schaffens von Werken, die betonte und bewusste Aneignung des klassischen Erbes und die Abneigung gegen die hohle, entheiterte Seelentiefe der DDR-Romantik, wie sie in den 1970er Jahren aufkam. In diesem Sinne könnten Hacks, Mickel und Kirsch als klassische Dichter aufgefasst werden, die die DDR als ihre historische Produktionsbedingung gewahrten. Jedoch habe Hacks verdunkelnde, elitär-bildungsbeschwerte und auch die Klassiker skeptizistisch vulgarisierende Tendenzen in den Gedichten Mickels kritisiert und auch Kirsch mehr als Poetologen geschätzt denn als Poeten. Daher seien auch diese hervorragenden, nächsten literarischen Verwandten des Peter Hacks als eher entferntere zu werten.



Detlef Kannapin gab einen Überblick über Hacks' seit je spärliche Beziehungen zu westdeutschen Schriftstellern, die sich seit seiner Übersiedlung in die DDR immer schlechter gestalteten. Noch in den 1960er Jahren habe Hacks sich zu Versuchen grenzüberschreitender ästhetisch-politischer Bündnispolitik aufraffen können, weil die Kräfteverhältnisse sowohl in der BRD als auch in der DDR es gestatteten. Doch kamen schon vor 1968 außer dem politisch versierten André Müller und dem ästhetisch hochrangigen, jedoch für Bündnisse wiederum zu abgesonderten Arno Schmidt wenige Autoren in der BRD überhaupt infrage. Dies zeige bereits der gescheiterte Annäherungsversuch Hacks' an Hans Enzensberger 1959-62. Seit der Reformierung des Bewusstseins und Überbaus der BRD durch die sogenannten 1968er sei auch in der DDR das politische und ästhetische Selbstverständnis von immer mehr Künstlern hin zu teils scheinradikal und marxistisch drapierter, teils offener Apologie des Imperialismus verflacht. Hierfür sei die Entwicklung Heiner Müllers zum BRD-Autor bis spätestens 1978 exemplarisch. Versuche zu Zweckbündnissen nach 1990, etwa mit Horst Tomayer oder Robert Gernhardt, seien entsprechend der Epoche nach der Zerstörung der DDR auf notdürftigere, rein antiimperialistische Ziele beschränkt gewesen.



Die Tagung endete mit einem Vortrag von Dietmar Dath zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage und den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Hacks-Rezeption angesichts ökonomischer Zwänge und eines weltweiten epochalen Kulturverfalls. Die Unfähigkeit des bürgerlichen, imperialistischen "Diesseits" im schlechtesten Sinne, nach 1990 etwas anderes als kleinlichste Selbstsucht, Selbst-Unzufriedenheit und Todessehnsucht zu denken, zeige sich besonders deutlich an der neuerrichteten Mauer aus blankem, breitem Unverständnis gegenüber Hacks' Werk. Der negative Gegenwartsbefund müsse lauten, dass das Bewusstsein für Sprache und Kunst überhaupt, für die Einheit von Form und Inhalt, für die Rangordnung von Gattungen und Stoffen im Maße schwinde, wie das Diesseits als unveränderlich vergötzt oder wehklagend hingenommen wird. Umgekehrt hülfen insbesondere Hacks' Dramen, wenn sie als "Dialog im Jenseits" mit der absolutistischen und sozialistischen Vergangenheit einerseits und der kommunistischen Zukunft andererseits verstanden werden, die Kunstfähigkeit des Menschen in entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu erkennen und nicht angesichts der verzweiflungsträchtigen Gegenwart zu vergessen.

Das komplette Tagungsprogramm als Flyer zum Download.

Die Referate der Tagung sind im Jahrbuch 2017 der Peter-Hacks-Gesellschaft erscheinen.

 

Mit freundlicher Unterstützung von:

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