»Salpeter im Haus«
Peter Hacks und die Romantik
Dritte wissenschaftliche Tagung zu Werk und Leben von Peter Hacks
Hacks' essayistische Beschäftigung mit der Romantik umfasst einen Zeitraum von 55 Jahren. Gunther Nickel, Herausgeber des Frühwerks von Hacks, verwies zu Beginn der abschließenden Podiumsdiskussion auf eine bislang unbekannte Frühschrift des 18-Jährigen: Die deutsche Romantik und ihre Stellung zur Klassik. Darin untersucht Hacks umfassend die deutsche Romantik als Kunststil hinsichtlich ihrer geistigen Wesenszüge, ihres Aufstiegs und Falls und konstatiert die Unvereinbarkeit von Klassik und Romantik. Auf eine auch Hacks nach einem halben Jahrhundert bewusste Kontinuität könnte ein Satz von Anatole France deuten, den Hacks seinem späten Essay Zur Romantik als Motto voranstellt und der sich bereits im letzten Teil seines frühen Aufsatzes findet: »Der Krieg und die Romantik, schreckliche Geißeln«.
Eine neuerliche intensive Beschäftigung setzt erst mit der Erbediskussion und der Neubewertung der Romantik in der DDR-Literatur Mitte der 70er Jahre ein. Hacks tritt 1976 mit dem Essay Der Meineiddichter, einer Radikalkritik an Friedrich Schlegel, hervor – einer mittelbaren Entgegnung auf einen Vortrag Franz Fühmanns zum 200. Geburtstag von E.T.A Hoffmann vor der Akademie der Künste der DDR. Im selben Jahr prägt er entscheidend die Akademiedebatten zur Romantik, zum romantischen Drama, zum Konzept der Klassik. In weiteren Einzeluntersuchungen der 80er Jahre spielt die Alternativstellung von Klassik und Romantik eine zentrale Rolle. So in: Saure Feste (1979); Eine Goethesche Auskunft zu Fragen der Theaterarchitektur (1982); An Träger (1983). Der große Essay Ascher gegen Jahn, ein Freiheitskrieg (1988/89) untersucht dann stärker die politische und philosophische Basis der historischen Romantik.
Auf der Grundlage dieser und weiterer Schriften von Hacks zum Thema entsteht im Jahr 2000 sein letzter Essay: Zur Romantik. Diese Arbeit ist, mehr als je zuvor, eine literatursoziologische Untersuchung, die viele Ebenen zusammenführt, das Material erneut um Fallbeispiele zu Einzelaspekten erweitert, um daraus eine Typologie der Romantik bzw. Romantiken und der Romantiker zu entwerfen.
Die Tagung hatte also ein Gebirge zu erklimmen, wenn sie allein einen Überblick über den das Thema betreffenden essayistischen Teil von Hacks' Werk gewinnen oder geben wollte. Hinzu kommen Dramen, Erzählungen, Gedichte und Kinderbücher mit Bezügen zur Romantik.
»Das erste Auftauchen der Romantik in einem Land ist wie Salpeter in einem Haus, Läuse auf einem Kind oder der Mantel von Heiner Müller am Garderobenhaken eines Vorzimmers. Ein von Romantik befallenes Land sollte die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen.« (HW 15/95 f.) – Mit diesem titelgebenden Zitat eröffnete Felix Bartels, Leiter der Vormittagssitzung, die Tagung. Eine ungewöhnliche Zusammenschau von Literatur, Geschichte und Gesellschaft war damit zu erwarten und – im zwanzigsten Jahr einer um die DDR vergrößerten BRD – die fundierte Auseinandersetzung mit einer fortdauernden Provokation.
Drei Referate befassten sich direkt mit der Spätschrift (Kannapin, Ziolkowski, Immer), zwei thematisierten Dramen (Grubner, Ziolkowski), eines hatte die Rezeption eines Romantikers durch Hacks zum Gegenstand (Köhler), eines beleuchtete Hacks' Position in den Auseinandersetzungen innerhalb der DDR-Literatur 1976/77 (Weber), eines untersuchte die Ränder und Relevanzen von Hacks' Romantikbegriff (Dath). Die Vorträge ergänzten und widersprachen einander in erhellender Weise. Das kenntnisreiche und erwartungsvolle Publikum der Tagungsteilnehmer machte die Atmosphäre und die Diskussionen im sehr gut besuchten Saal des Magnus-Hauses am Berliner Kupfergraben außerordentlich fruchtbar. Die Nachmittagssitzungen leiteten Klaus Rek und Philipp Steglich; die Podiumsdiskussion moderierte Gunther Nickel.
»Und kurz und gut jedenfalls ...« mit dieser Zeile aus dem Gedicht »Das Pflaumenhuhn« von Peter Hacks war die Lesung von Gunter Schoß mit Balladen und Gedichten des Dichters betitelt, die am Vorabend der 3. wissenschaftlichen Hacks-Tagung im gut besuchten Theater im Palais in Berlin-Mitte stattfand.
Die humorvollen und hintersinnigen Gedichte und Balladen, die zumeist in den von Hacks vor allem für Kinder geschriebenen Büchern »Kinderkurzweil« und »Der Flohmarkt« nachzulesen sind, wurden vom dem Kindesalter deutlich entwachsenen Publikum mit Genuss und hörbarem Vergnügen angehört, was nicht nur an der Meisterschaft des Dichters, sondern auch an der beeindruckenden und einfühlsamen Interpretation des Schuspielers Gunter Schoß lag.
Die wunderbar eingestreuten musikalischen Zwischenspiele am Klavier von Ute Falkenau taten ein Übriges, dass dieser Abend kurz und gut und jedenfalls ein anregendes und sinnliches Vorspiel für die am Sonnabend folgende wissenschaftliche Konferenz war.
Tagungsbericht von Jens Mehrle entnommen aus: »Salpeter im Haus«. Peter Hacks und die Romantik, Aurora Verlag, Berlin
Das Tagungsprogramm der Konferenz 2010 finden Sie hier noch einmal im Überblick.
Die Konferenzbeiträge sind beim Aurora-Verlag im Band »Salpeter im Haus«. Peter Hacks und die Romantik erschienen.
Videomitschnitte von der Tagung
»Growing Nervous: Lord Byrons antiromantische Romantik«?
Vortrag von Dietmar Dath