Gedichte - Archiv

Hier sehen Sie weitere Gedichte von Peter Hacks. Alle hier veröffentlichten Gedichte sind urheberrechtlich geschützt © Eulenspiegel Verlagsgruppe.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Albert Camus und zum Nikolaustag am 6. Dezember

 

WITZMUNG

Nimm, Liebling, denn dies gelbe, grause
Buch an vom heutigen Nikolause;
Denn wenn es auch kein Schwank von Kalisch
(Vielmehr ganz erzpestilenzialisch), –
Wenn der Verfasser auch ein Narr, 's ist
Doch nützlich wegen der Katharsis.

Anlässlich des Parteitags der Linken

 

DIE PARTEI

Von zwei Millionen blieben
Kaum eine Handvoll grad.
Es hat sie aufgerieben
Gorbatschows Verrat.

Anlässlich steigender Brötchenpreise ...

 

FRIEDEN

Die Brötchen kosten drei Pfennig.
Der Brötchenmann wirft sie morgens in den Beutel
An meiner Tür. Eine Preissenkung
Ist in Aussicht.

 

(aus Hacks Werke Bd. 1, Die Gedichte, S. 230)

Auf dass die Oliven gedeihn

 

SPROSS DER OLIVE, MORDENDES GERÄT

Sproß der Olive, mordendes Gerät,
Blutiger Schößling, mildem Stamm entsprossen,
Dich pflanz ich in den alten Boden hin,
Auf daß, nach bösem Umweg, neu ersteht
Der reife Baum, langher in dir beschlossen,
Des Landes Schirm, Zier, Müh und Nährerin.

Aus den Arien und Ensembles zu »Omphale«

 

NICHT WEISHEIT MANGELT MIR
UND NICHT GEDULD

Nicht Weisheit mangelt mir und nicht Geduld.
Die teilnahmsvolle Brust ist meine Schuld.
Mit Trauer bloß seh ich die Hölle rührig,
Des Angriffs Niedertracht lähmt mein Gelenk.
Nicht, wie ich sollte, Zorn, Scham nur verspür ich,
Wenn ich ins Herz mich solcher Feinde denk.
Wo aber Weisheit scheitert und Geduld,
Dort wird die teilnahmsvolle Brust zur Schuld.

 

(aus Hacks Werke, Bd. 1, Die Gedichte, S. 78)

Ballade

 

DER SPD
(Ballade)

Der Bürger sitzt beim guten Brei,
Der Sozi kommt und geht vorbei.
Er sieht mit scheelen Blicken
Den schönen Bauch des Dicken.

Beeilt euch, ihr Stunden

 

BEEILT EUCH, IHR STUNDEN

Beeilt euch, ihr Stunden, die Liebste will kommen.
Was trödelt, was schleppt ihr, was tut ihr euch schwer?
Herunter da, Sonne, und Abschied genommen.
Verstehst du nicht, Tag, man verlangt dich nicht mehr.

Chor der Sirenen

 

CHOR DER SIRENEN

Wir haben unsre schönsten Lieder gesungen,
Er kam nicht.
Wir machten ihm die schönsten Anerbietungen,
Er nahm nicht.
Wir wären fast am schönsten Ärger zersprungen
(vor Scham nicht) –
Es ist dem Mann, dem schönsten, die Flucht gelungen –
Infam, nicht?

 

(Handschrift aus dem schwarzen Oktavheft, einem Diarium mit frühen Gedichten, Prosa und dem ersten Drama »König Augias«, vor 1950,
in Der junge Hacks Bd. 1, Gedichte, S. 50)

Das Riesenquartett

 

DAS RIESENQUARTETT

In fernem Land, in alter Zeit,
In einem Schloß aus Stein,
Da herrschten tausend Meilen weit
Drei Riesen im Verein.
Die waren nicht gut, die waren nicht nett,
Die spielten mit lebenden Menschen Quartett.

Der Dichter mustert seine Bataillone

 

ZEHN GERECHTE

Einige Menschen, Frauen oder Männer,
Ziehn, unter uns sich mischend, ihre Bahn,
Der Wissenschaft unbeugsame Bekenner,
Des Ruhms Verächter, abhold jedem Wahn.
Sie dienen streng. Sie wirken ernst und leise
Am edlen Werk, jeder auf seine Weise.

Und jeder, hingegeben nur dem Ziele,
Wie er dem Volk zum alten Glanz verhelf,
Tut, was zu tun ist. Ihrer sind nicht viele.
Ich zähle zehn. Ich käme nicht auf elf.
Hoffe auch du, Land. Zehn Gerechte hätten,
Lesen wir, hingelangt, Sodom zu retten.

 

(aus »Gesellschaftsverse«,
in Hacks Werke Bd. 1, Die Gedichte, S. 330)